Von Videokassetten, der Europawahl und interessanten Zeiten

Mit der Demokratie als System ist es ähnlich, wie es mit damals mit Video 2000, Betamax und VHS war. Qualität alleine verkauft sich nicht. Man muss das präferierte System forcieren, sponsern und schauen, dass man es zu einer Größe entwickelt, dass eine Abkehr davon unmöglich wird. VHS überlebte, ob wohl die anderen beiden Systeme qualitativ besser waren. Erkenntnis: Das Bessere setzt sich niemals automatisch um, nur weil es besser ist.

Ich als Wähler, und ich rede nur von mir, wähle keine politische Idee oder Ideologie. Ich habe Themen, sehe gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Herausforderungen, habe eine Grundvorstellung davon, wie es im besten Fall aussehen soll und wie man eventuell dahin kommt und ich habe Prämissen, die ich für mich gerne umgesetzt sehen würde und Dinge, die ich nicht haben will.

Es mag sein, dass es ökologische und ethische Ansätze gibt, die aus ihrer eigenen Perspektive heraus nicht falsch sind. Ja, vernünftiger Umgang mit Tieren als Nahrungsquelle und die Überprüfung der gesellschaftlichen Handlungen auf die Verträglichkeit mit Umwelt und Klima sind wichtig und richtig.

Aber… die Frage ist, welche Prioritäten ich persönlich setze und sehe. Und wenn ich eine solide und krisenfeste Wirtschaft als Grundlage sehe, um umweltpolitische und gesellschaftliche Themen zu stemmen, macht mich das nicht zu einem Menschen, der auf dem ökologischen Auge blind ist. Ich habe lediglich eine andere Priorität.

Und nein, wenn ich nationalen Interessen einen höheren Stellenwert zuschreibe, macht mich das nicht zu einem Rechtsaußen. Ich sage, dass man sehr genau hinsehen muss, dass man nicht gegen die eigenen Interessen handelt und Handlungen vornimmt, die diesem System schaden und die Gesellschaft überstrapazieren und/oder auch spalten. Und dabei spielt es keine Rolle, welchen Pass jemand hat. Wenn jemand hier lebt und am Gelingen des Projekts mitarbeiten möchte, dann ist das eine großartige Sache. Dazu sei jeder herzlich eingeladen. Nur das heißt, man bringt sich ein, liefert und bedient sich nicht. Und auch das betrifft alle, und wieder, es ist egal welchen Pass sie haben. Und hier schaue ich besonders in die Richtung der Deutschen.

Interessant finde ich, dass das laute, omnipräsente Schreien, derer, die man als linken Flügel beschreibt, in den sozialen Netzwerken, sich nicht in die Realität übertragen lässt. Mag sein, dass diese Gruppe für sich die Deutungshoheit und politische Wahrheit reklamiert, aber wenn Sie sich das Ergebnis einer demokratischen und freien Wahl ansehen, kommt man zu dem Schluss, dass diese Gruppe recht laut, aber in der nicht virtuellen Welt, eine kleiner werdende Gruppe ist.

Frau Barley von der SPD gab heute Morgen ein Interview im Deutschlandfunk. Sie sagte, dass sie das Abschneiden der Parteien so gar nicht verstehen könnte und man dieses nun analysieren sollte. Wenn der Vertreter einer politischen Partei, egal welcher, eine solche Selbstwahrnehmung hat, dass sie von der Entwicklung am Tag nach der Wahl überrascht ist, dann ist das der Indikator für mich, dass der Link in die Realität einfach nicht mehr gegeben ist. Und das genau ist das grundlegende Problem.

Die gewählten Vertreter sind beauftragt, den Willen ihrer Wähler umzusetzen und Ansätze zur Lösung der Herausforderungen auf der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Ebene zu erarbeiten und vorzuschlagen und sich für die Umsetzung den Auftrag das Einverständnis der Gesellschaft zu holen . Und das gilt für das komplette politische Spektrum und nicht nur für einzelne.

Alles andere führt zu einer Entkopplung von dem Wähler und bringt Entwicklungen mit, die niemand sich wünscht.

Sie glauben mir nicht? Warten Sie ab was in Frankreich nun passiert, wo Macron die Nationalversammlung gestern Abend aufgelöst hat. Da sehen Sie Anfänge, was passiert, wenn die Ignoranz der politischen Klasse gegenüber seinen Wählern, das kaputtmachen wird, was sie doch eigentlich erhalten wollten.

Sie erinnern sich an die chinesische Verwünschung:

-„Mögest Du in interessanten Zeiten leben.“

Wir stecken mitten drin.

6 Kommentare

  1. Ben Wilder

    Wieder einmal kann ich jedem einzelnen geschriebenen Wort nur zustimmen. Hätte ich darüber geschrieben, der Inhalt wäre der Gleiche.

    Die Politik – gerade die Altparteien – sitzen immer noch auf einem zu hohen Ross. Selbstverliebte Selbstdarsteller. Egal, mit ob mit Maßkrug in der Hand gegen Weed. Die anderen mit „Verbrennerverbot, Tempolimit, Öl- und Gasheizungsverbot (ja, für Neuanschaffung).

    Sie haben 2 große Probleme.

    1. Sie halten sich für klüger als der Pöbel und sehen keine Notwendigkeit, den Pöbel mit ins Boot zu holen, in dem man ihm vernünftige Zahlen, Daten und Fakten liefert, so dass er es versteht. Sie interessieren sich mehr für ihre Selbstdarfstellung, als für das Volk. „Die sind eh zu dumm und begreifen dass sowieso nicht…“

    2. Und das muß man den rechten Parteien lassen, sie sind nicht dort, wo die „Jungen“ sind. Auf die alten zu hoffen, ist zwar schön, aber man darf nicht vergessen, die Babyboomer sterben in den nächsten Jahren aus. Wenn man überlegt, dass die AfD doppelt bis dreimal so viel Content auf Tiktok und Co. liefert, wie alle anderen Parteien zusammen, dann müssen sich die anderen Parteien nicht wundern, dass jugendliche nicht einmal wissen, wer die anderen Parteien sind. Die Jungen benutzen Tiktok als Google. Sie glauben und vertrauen Content auf Tiktok mehr, als das war in der Presse steht, die sie ohnehin nicht mehr lesen.

    Als Angler würde ich sagen, was bringt dir der tollste Köder, wenn du ihn nicht ins Wasser wirfst?

    Und: Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.

    Die Altpartien können von Glück reden, dass sie sich nicht selbst finanzieren müssen. Wären sie eine Firma in der freien Wirtschaft, wären sie längst Pleite. Ihnen wäre es ergangen, wie den Videotheken, als Netflix und Co. an den Start gingen. Oder wie Nokia.

    Wenn sie nicht lernen, Politik fürs Volk zu machen und nicht für sich selbst, als Selbstbeweihräucherung und für die eigene Ideologie, dann wird uns die Zeitenwände in eine düstere Zukunft führen.

    Es heißt ja nicht umsonst: Hochmut kommt vor dem Fall…

    • Jens

      „Die gewählten Vertreter sind beauftragt, den Willen ihrer Wähler umzusetzen und Ansätze zur Lösung der Herausforderungen auf der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Ebene zu erarbeiten und vorzuschlagen und sich für die Umsetzung den Auftrag das Einverständnis der Gesellschaft zu holen.“

      … damit wird das Prinzip (u. a.) der Bundestagswahl beschrieben.

      Die Ampelkoalition hat nix anders gemacht, als die Wahlversprechen umzusetzen. Über die Konsequenzen hat man sich im „Hauptsache mal was Anderes als CDU“-Modus offensichtlich wenig Gedanken gemacht.

      BTW … die Kernkraft Hat die CDU abgeschafft — zu Recht wie es damals unwidersprochen Konsens war (als preiswertes Öl und Gas aus Russland verfügbar war). Und die akruelle Bürokratie ist mitnichten eine Erfindung von Rot-Grün-Gelb; die gabs vorher schon.

      Gruß

      Jens

    • Herr MiM

      Ich mag Ihren Vergleich mit Netflix und Co. Das trifft es ziemlich gut. Mein Controlling Dozent hat es damals auf den Punkt gebracht. Er sagte: Wenn die Anpassungsgeschwindigkeit niedriger ist als die Veränderungsgeschwindigkeit, fällt man hinten runter. Das passiert bei den etablierten Parteien. Die haben schon die Themen auf der Liste, die wichtig sind, das Problem aber ist. sie haben sich in der Kommunikation, in der Präsentation und in der Arbeitsweise sich nicht den Zeiten angepasst.

  2. schachtldaifal

    Gute Gedanken zum eigenen Standpunkt, sehr profund analysiert. Mir ist heute Morgen flau im Magen. Die Richtung an sich lässt mich als Geschichtslehrerin eher schaudern. Da liegt viel Ungutes in der Luft.

    • Herr MiM

      Wissen Sie, Frau Schachtldaifel, wenn man auf etwas wetten kann, dann darauf, dass Menschen und die Gesellschaft aus den Fehler nicht lernt, weil mit jeder neuen Generation, etwas vom Wissen verloren geht.

  3. Jens

    „Da liegt viel Ungutes in der Luft.“

    … nun gut, aber ist das nicht der Lauf der Geschichte?

    Nach 1945 waren erst einmal (politisch gesehen) die Sozen dran, kurz darauf funktionierten die konservativen Netzwerke wieder. Bis Mitte der Sechziger war dann das Credo des Wohlstands aka Wirtschaftswunder alles überdeckend. Danach wurde dies dann aufgebrochen und wirkte bis Helmut Kohl.

    Wachstum gebremst, Arbeitslosigkeit etc. nun musste etwas anderes helfen. Das glitt dann auf der „Hauptsache Konsens“ Schiene bis sich „der Deutsche“ sagte, nee, jetzt muss mal was anderes her.

    Und nun haben wir wieder einen „Swingback“. Linke und Grüne und SPD haben es überrissen und werden erstmal verschwinden. Neoliberalismus mit müffelndem AfD-Nationalegoismus werden uns die nächsten Jahre erhalten bleiben— jede Wette.

    Gruß

    Jens

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